Toxische Beziehung oder Beziehungskrise?

Wie unterscheide ich eine toxische Beziehung von einer Beziehungskrise?

Wahrscheinlich ist es dir schon aufgefallen: Die Nutzung des Begriffs „toxische Beziehung“ hat in den letzten Jahren inflationär zugenommen. Und wie bei jeder Inflation führt das zu einem Bedeutungs- und Wertverlust. Der Begriff wird mittlerweile für so vieles verwendet, dass die eigentliche Bedeutung verwässert wurde. Denn: Nicht alle unglücklichen Beziehungen sind toxisch. Viele romantische Partnerschaften durchleben Krisen, schwierige Phasen und auch schwere Verletzungen. Das allein macht diese Partnerschaften aber nicht toxisch. Tatsächlich sind es die allermeisten nicht.

Nähern wir uns dem Ganzen einmal etymologisch. Das Wort toxisch bedeutet giftig. Insofern vergiften toxische Beziehungen etwas. Etwas wird durch sie zerstört; und zwar mit Absicht. Hier geht es also nicht um einen bloßen Streit oder eine Unachtsamkeit. Gift ist ein starkes Wort und sollte auch dementsprechend vorsichtig genutzt werden. In toxischen Beziehungen passiert im Grunde regelmäßige, emotionale (und oft auch physische) Gewalt.  

Toxisch versus dysfunktional 

Teilweise mag es Leuten leichter fallen, das Beenden einer Beziehung zu rechtfertigen, wenn sie sie als toxisch etikettieren. Das ist unnötig. Es gibt unzählige legitime Gründe eine Beziehung zu beenden, ohne dass diese toxisch war, etwa weil Erwartungen oder Lebensentwürfe nicht übereinstimmen oder weil sie zu dysfunktional ist. 

In vielen Beziehungen gibt es dysfunktionale Elemente. Damit ist gemeint, dass bestimmte Dynamiken sich häufig wiederholen, obwohl sie nicht zum gewünschten Ergebnis führen. Beispielsweise kann ein Partner wiederholt mit eisigem Schweigen darauf reagieren, dass der andere den Geschirrspüler nicht ausgeräumt hat. Und zwar mit der Erwartung, der andere müsse ja wissen, wieso. Tut dieser aber nicht. Er sucht Nähe, fühlt sich dann grundlos zurückgewiesen und zieht sich zurück – die Stimmung wird noch eisiger und der Spüler bleibt voll. Beide Seiten bekommen also nicht das, was sie eigentlich wollen. In diesem Beispiel funktionieren die Strategien Schweigen und Zurückziehen nicht, sie sind also „dysfunktional“. Eine solche Dynamik ist aber nicht toxisch, sondern weist lediglich auf ein veränderbares Kommunikationsproblem hin.

Wenn du dir nicht sicher bist, ob deine Beziehung tatsächlich toxisch oder “nur” dysfunktional ist und die professionelle Begleitung wünschst es herauszfinden, dann kannst du hier eine kostenlose Erstberatung mit einem unserer Coaches vereinbaren.

Die Rolle von Macht & Isolation 

Macht spielt in zwischenmenschlichen Beziehungen so gut wie immer eine Rolle. Das ist normal. Häufig assoziieren wir Macht mit Ausnutzung, Zwang oder Ähnlichem. Macht ist an sich aber nichts Böses. Schon etwas Simples, wie mehr Wissen über ein Thema zu haben als deine Partnerin, gibt dir Macht. Wenn sie dich um Unterstützung bittet, kannst du aber entscheiden, diese Macht zu nutzen, um ihr zu helfen. Wer wann welche Macht hat, verlagert sich in gesunden Beziehungen ständig. Es ist im Fluss. In toxischen Beziehungen sieht das anders aus. Hier besteht ein dauerhaftes Machtungleichgewicht zugunsten eines Partners. Das äußert sich meist in emotionaler Abhängigkeit beim anderen. 

Oft wird diese Abhängigkeit durch Isolation gegenüber anderen sozialen Kontakten noch verstärkt. Aus Scham hören die abhängigen Personen in toxischen Beziehungen häufig auf, mit ihren Freunden über die Beziehung zu sprechen. Sie ziehen sich zurück. Oder sie sind so fokussiert auf die Bedürfnisse ihrer Partner, dass sie dafür alle anderen Beziehungen vernachlässigen. Dies geschieht oft aus der Angst, was passiert, wenn sie die Bedürfnisse des anderen nicht erfüllen. 

Lesetipp: Du kannst in diesem Artikel noch mehr über typische Merkmale toxischer Beziehungen lesen. 

Toxisch versus Krise: 4 wichtige Anhaltspunkte

Durch die übermäßige Nutzung des Wortes toxisch sind sich viele unsicher, ob ihre Beziehung nur eine schwierige Phase durchläuft oder tatsächlich toxisch ist. Hier sind vier Anzeichen dafür, dass die Diagnose lediglich Krise – und nicht Gift – lautet. 

  1. Grundsätzliches Wohlwollen

    Wenn du und deine Partnerin euch im Grunde umeinander sorgt und Gutes wünscht, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit keine toxische Beziehung. Wichtig ist hierbei jedoch, ehrlich zu betrachten, ob sich Worte und Taten dauerhaft decken. Wenn dir jemand ständig sagt, dass sie dich liebt und dein Bestes will, jedoch konstant deine Freundschaften sabotiert oder dein Selbstvertrauen untergräbt, dann ist das kein wahres Wohlwollen, sondern Manipulation und Gaslighting. 

  2. Gesehen werden

    Toxischen Beziehungen bestehen im Grunde aus zwei Fantasiefiguren. Beide Seiten sehen nicht den echten Menschen. Die dominante Person mag die Fantasie haben, dass ihr Partner unfähig ist, für sich selbst zu sorgen. Oder dass er glücklicher ist ohne diese und jene Freundschaft. Die abhängige Person mag glauben, dass ihre Partnerin die Beleidigungen nicht wirklich so meint. Oder dass sie ja recht haben muss, da sie so viel schlauer ist als sie selbst. Daher: Wenn du grundsätzlich das Gefühl hast, dein Partner sieht tatsächlich, wer du bist – mit deiner Komplexität, mit deinen Stärken und Schwächen – und du siehst ihn genauso, dann ist das ein gutes Zeichen. 

  3. Eigenständigkeit

    In einer grundsätzlich gesunden Beziehung haben die Beteiligten eigene Meinungen, Interessen und soziale Kontakte. Innerhalb der Beziehung dürfen diese Meinungen geäußert, die Interessen verfolgt und die Kontakte individuell gepflegt werden. Kurz gesagt: Ihr seid zwei eigenständige Menschen, die neben dem „wir“ auch das „ich“ kontinuierlich fördern und weiterentwickeln. In toxischen Beziehungen entsteht stattdessen eine starke Abhängigkeit, die häufig zu sozialer Isolation und der Aufgabe von persönlichen Interessen führt. Die abhängige Person äußert ihre Gedanken, Gefühle und Ansichten nicht mehr, aus Angst, dadurch eine Trennung herbeizuführen. 

  4. Bereitschaft zur Veränderung

    In Beziehungskrisen sind meist alle Beteiligten unzufrieden und wollen eine Veränderung. In toxischen Beziehungen ist die dominante Person hingegen daran interessiert, den Status Quo zu erhalten. Natürlich kann sich aber auch bei gesunden Partnerschaften, die eine schwierige Phase durchlaufen, unterscheiden, wer bereit ist, wie viel für diese Veränderung zu arbeiten. Der Leidensdruck ist nicht immer gleich verteilt und teilweise mangelt es vielleicht an Zuversicht. Grundsätzlich ist der ehrliche, beidseitige Wille und Wunsch, etwas zu verändern, dennoch ein starker Hinweis darauf, dass es sich um eine lösbare Krise handelt statt um ein toxisches Beziehungsmuster.

In einer Beziehungskrise zu stecken, kann sich ohne Zweifel furchtbar anfühlen, vielleicht sogar „giftig“. Dennoch ist es wichtig, dass wir uns klarmachen, was tatsächlich toxisch ist und was nicht. Denn dann können wir besser einschätzen, ob positive Veränderung möglich ist oder ob wir uns schützen und ablösen müssen. Alles und jeden toxisch zu nennen, führt nur dazu, dass lösbare Krisen verteufelt und tatsächliche emotionale Gewalt verharmlost wird. 

Wenn du Unterstützung dabei möchtest, herauszufinden, ob du in einer toxischen Beziehung bist oder wie du aus einer Beziehungskrise wieder in eine glückliche Beziehung findest, dann vereinbare jetzt eine Erstberatung.

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